Epigenetik und Psyche
Buch des Lebens
Am 26. Juni 2000 im East Room des Weißen Hauses gab US-Präsident Bill Clinton die Entzifferung des menschlichen Genoms bekannt.
(c) Stephen Jaffe/AFP/picturedesk.com
Es ist nun 20 Jahre her als Präsident Clinton und Genetiker Venter das „Buch des Lebens“ feierten.
„Heute lernen wir die Sprache, in der Gott das Leben geschaffen hat. Und Clinton sagte weiter: Die Wissenschaft werde die Diagnose, Vorbeugung und Behandlung der meisten, wenn nicht aller menschlichen Krankheiten revolutionieren. Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer, Diabetes, Krebs könnten in kommenden Jahren bekämpft und vielleicht geheilt werden. …“
Diese Hoffnung trog
Die Hoffnung trog, auch deshalb, weil man gar so viel von der Sprache des Lebens noch nicht gelernt hatte: Zum einen macht das, was wir Gene nennen, kaum mehr als ein Prozent des gesamten Genoms (Erbsubstanz) aus. Über die Jahre wurden es immer weniger, der Stand 18.894 – stammt vom März 2018, er bezieht sich auf Gene, die Proteine „kodieren“.
Den genetischen Code lesen zu können, wird nicht genügen. Man muss verstehen, wie er gelesen und wie er verändert wird. Nicht das Genom (Erbsubstanz), sondern das Epigenom prägt unser Erscheinung und das Aussehen.
Was sagt uns die Epigenetik
Die Epigenetik zeigt: Der Mensch ist keine Konstante. Unser Tun und unsere Erfahrungen setzen sich fest am Erbgut. Über die molekularen Mechanismen, die dazu führen, ist aber noch wenig bekannt.
Wir können die Aktivität unserer Gene und damit die Entwicklung der Zellen selber verändern. Durch unseren Lebenswandel. Mehr noch: Diese Veränderungen können vererbt sein. Die MicroRNA gilt im Sperma als Informationsträger der Vererbung.
Die Epigenetik widerlegt, dass unser Leben eine Laune des Schicksals ist. Man wird zwar mit gewissen Genen geboren, aber man kann ihr Wirken selber beeinflussen.
Die Epigenetik sagt uns: Du kannst dein Leben selber ändern. Und zwar im Innersten deines Körpers.
Das Epigenom wirkt als „physikalischer Rezeptor“ für Belastungen und Einflüsse aus dem Umfeld, wie die Qualität und Quantität der Ernährung, das Rauchen, Alkoholabusus, der Mangel an körperlicher Bewegung. Auch Einsamkeit, Trauer, Störungen des Tagesrhythmus (Jet Lag, Schichtarbeit, Schlafentzug), durch hässliche und lärmbelastete Nachbarschaft, Mangel an Grünflächen, sie alle haben Auswirkungen, ob sie als „Stress“ oder nicht wahrgenommen werden. Selbst Erfahrungen und Emotionen können ihrerseits in einem epigenetischen Prozess an den Genen modulierend wirken.
Eine konsequente Lebensführung und das richtige Wissen wird notwendig sein, um seine Gesundheit zu fördern, denn auch Sozialkompetenz ist eine Funktion aus dem Verhalten und unseren biologischen Strukturen.
Egomanie hat seinen Preis
Diese Haltung ist ein bisschen irritierend. Unsere Gesellschaft dreht sich nur noch ums Wohlfühlen. Es geht ums Vergnügen, den Genuss, es geht nur um: ich, ich, ich.
Millionen von Menschen in Europa sind psychisch krank, ob Depression, Sucht oder Angststörungen.
Die Zahl derer, die wegen seelischer Leiden Hilfe suchen, nimmt zu. Bis heute kennen wir keine Möglichkeit, auf die MicroRNA Einfluss zu nehmen. Wir wissen nicht einmal, welche Gene für Depressionen, Schizophrenie oder bipolare Störungen verantwortlich sind.
Dennoch nützt die epigenetische Forschung den Patienten. Die Psychiater schauen sich schon jetzt vermehrt deren Lebenswandel und Vergangenheit an. Wenn negative Faktoren einen aus der Bahn werfen können, dann helfen positive Faktoren bei der Überwindung eines Traumas.
Vielleicht braucht es gar keine Medikamente mehr, um toxischen Stress, Angst und Depressionen zu behandeln. Sondern lediglich radikale Verhaltensänderungen. Eine Diät, soziale Interaktion, ein gesundes Leben – oder die Einsicht, sich nicht zu Tode zu arbeiten, um sich das teurere Auto als der Nachbar zu kaufen, weil man sich davon ein glückliches Leben verspricht.
Leider definieren sich viele Menschen nur darüber, was sie besitzen, als liebevoll zu leben und das Wichtige und Richtige zu lernen.
Ihr Eduard Rappold