
Neoliberalismus heute: Die unsichtbaren Kräfte der Gegenwart
Die treibenden Kräfte des Neoliberalismus heute
In einem Interview mit Woman’s Own (1987) sagte Thatcher:
„There is no such thing as society. There are individual men and women, and there are families.“
Sie meinte damit nicht wörtlich, dass es keine Gesellschaft gibt – sondern dass soziale Verantwortung nicht vom Staat oder einer „anonymen Gesellschaft“ übernommen werden sollte, sondern vom Individuum. Hilfe, Verantwortung, Initiative: all das müsse vom Einzelnen kommen, nicht von einer als Kollektiv verstandenen Gesellschaft.
2020 behauptet The Guardian: „Neoliberalism is dead. What comes next?“ In Wahrheit aber lebt er so tief in uns weiter, dass wir ihn kaum noch sehen. Der Neoliberalismus hat seine Form gewandelt: vom ökonomischen Dogma zum kulturellen Code, vom politischen Programm zum psychischen Normalzustand.
Dieser Beitrag fragt nicht nach einer Rückkehr zur Planwirtschaft. Er fragt: Was treibt den Neoliberalismus heute an? Und warum wirkt er so unüberwindlich?
1. Finanzmärkte als unsichtbare Gesetzgeber
Die größten politischen Entscheidungen – ob Sozialabbau, Rentenreform oder Unternehmenssteuern – werden längst mit Blick auf das Wohlwollen der Finanzmärkte getroffen.
Kapital reagiert in Echtzeit, entzieht sich demokratischer Kontrolle und belohnt kurzfristige Gewinne statt langfristiger Verantwortung. Regierungen, die sich dem entziehen wollen, droht Kapitalflucht. So wird ökonomische Macht zu politischer Realität.
2. Das neoliberale Selbst: Ich-Marke statt Ich-bin
Die wohl stabilste Kraft ist nicht äußerlich, sondern innerlich: Wir haben das neoliberale Paradigma verinnerlicht.
Wir handeln, denken, optimieren – nicht mehr als Bürger*innen, sondern als Markenmanager unseres Selbst.
Was bin ich wert? Wie wirke ich? Wie kann ich performen?
Das führt nicht nur zu Burnout und Selbsterschöpfung, sondern auch zu einem paradoxen Narzissmus: verletzlich, getrieben – und systemkonform.
3. Plattformkapitalismus als neue Infrastruktur
Google, Amazon, Meta und Co. sind nicht nur Firmen, sie sind Infrastrukturmächte: Sie bestimmen, wie wir kommunizieren, konsumieren, uns darstellen.
In dieser Plattform-Ökonomie:
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wird Arbeit prekär (Gig-Economy),
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wird Aufmerksamkeit zur Währung,
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wird Persönlichkeit zur Verkaufsfläche.
Das Subjekt wird zum Profil – messbar, bewertbar, marktförmig.
4. Die Herrschaft des Messbaren
„Was man nicht messen kann, existiert nicht“ – dieser Satz prägt Bildung, Medizin, Kultur, sogar Liebe.
Die neoliberale Rationalität verlangt nach Daten, Kennzahlen, Rankings. Doch was dabei verloren geht, ist oft das Wesentliche: Sinn, Beziehung, Tiefe.
Wir quantifizieren – und verlieren das Qualitative.
Der Wahn des Messbaren
Die neoliberale Rationalität hat uns glauben gemacht, dass nur existiert, was sich zählen lässt. Statistik wird zur neuen Wahrheit, Kennzahl zur Wirklichkeit.
Doch was dabei verloren geht, ist das Leben selbst: das Nicht-Messbare, das Sinnvolle, das Spürbare.
Wir optimieren unsere Schritte, unsere Likes, unsere Produktivität – und verlieren dabei den Kontakt zu dem, was nicht in Zahlen passt: Beziehung, Tiefe, Intuition.
Was früher Kompass war – Ethik, Erfahrung, Gewissen – wird ersetzt durch Algorithmen und Scorecards.
So wird der Mensch zur Zahl – und die Welt zur Tabelle.
5. Die politische Alternativlosigkeit („TINA“)
TINA steht für:
„There Is No Alternative“ – ein berühmtes Zitat von Margaret Thatcher, das sinnbildlich für die politische Alternativlosigkeit des Neoliberalismus steht.
Der Neoliberalismus hat seine größten Siege nicht durch Überzeugung errungen – sondern durch das Ausschalten von Alternativen.
Auch progressive Parteien verwalten oft nur noch das Bestehende. Kritik wird kulturell „verarbeitet“, aber selten strukturell ernst genommen.
Wer an der Systemfrage rührt, gilt als naiv oder radikal.
6. Der Zerfall solidarischer Strukturen
Gewerkschaften, Nachbarschaften, gemeinschaftliche Institutionen verlieren an Bindungskraft.
Was bleibt, ist Vereinzelung – der perfekte Nährboden für marktförmige Identitätspolitik, Wettbewerb unter Gleichen und emotionale Erschöpfung.
Solidarität wird zur romantischen Erinnerung – oder zur PR-Strategie.
7. Medienkultur als Verstärker
Die Popkultur hat den Neoliberalismus nicht kritisiert – sie hat ihn gefeiert.
In Serien, Werbung, Influencertum wird die Selbstverwirklichung zur ultimativen Pflicht.
Selbst Rebellion wird kommerzialisiert: Kritik wird Style, nicht Strukturbruch.
Der Neoliberalismus hat gelernt, sich als Lifestyle zu verkleiden.
8. Krisenmanagement statt Transformation
Ob Klimakrise, Pandemie oder Krieg – die Reaktion bleibt oft marktkonform:
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CO₂-Zertifikate statt Verhaltenswandel,
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Digitalisierung statt Bildungsgerechtigkeit,
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Aufrüstung statt Friedensordnung.
Die Krise wird verwaltet – nicht verwandelt.
Das System lebt weiter, indem es sich selbst als alternativlos darstellt.
Resümee: Der Neoliberalismus lebt in uns
Der Neoliberalismus ist kein Monster von außen, sondern ein Muster von innen.
Er lebt in unseren Routinen, Ambitionen, Selbstbildern – und im kulturellen Code, der alles in Wettbewerb, Image und Marktwert übersetzt.
Solange das so ist, wird kein politischer Wechsel allein ausreichen.
Es braucht eine kulturelle Transformation. Eine neue Idee vom Menschen. Eine neue Form der Resonanz.
Vielleicht kann die Metamoderne dazu beitragen – als Haltung, die nicht zwischen Ironie und Ernst wählen muss. Als Denkweise, die Tiefe und Komplexität zulässt. Und als Einladung, neu zu fragen:
Wie wollen wir leben – jenseits des Immer-Mehr?
Die Babyboomer lebten im Aufstieg: Wirtschaftswunder, Konsumversprechen, Eigentum, Expansion. Für viele ihrer Kinder jedoch ist Verknappung Realität – materiell wie symbolisch.
Wohnen wird unbezahlbar, Arbeit prekär, Zukunft unsicher. Doch die Antwort der Nachgeborenen ist nicht nur Resignation – sondern kulturelle Neuorientierung.
Die Generationen Y und Z reagieren auf das „Immer-Mehr“ der Elterngeneration mit einer paradoxen Mischung aus Erschöpfung und Eigensinn:
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Sie verweigern den Karriereimperativ, suchen Sinn statt Titel.
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Sie praktizieren Downshifting, Minimalismus, mentale Gesundheit statt Dauerstress.
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Sie erkennen: Das Versprechen vom „Alles-ist-möglich“ war ein Mythos – und fragen: Was ist eigentlich wesentlich?
Diese Reaktion ist keine Schwäche, sondern ein Signal kulturellen Wandels.
In einer Welt der Daueroptimierung beginnt eine neue Sehnsucht – nach Resonanz statt Reichweite, nach Beziehungen statt Rendite, nach einem Leben, das nicht nur effizient ist, sondern echt.
Vielleicht entsteht hier die Antwort auf die alte Frage:
Wie wollen wir leben – jenseits des Immer-Mehr?
Ihr
Eduard Rappold
Hinweis: Diese Informationen dienen ausschließlich Bildungszwecken und ersetzen keine professionelle medizinische Beratung. Konsultieren Sie bei gesundheitlichen Fragen stets qualifizierte medizinische Fachkräfte.
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