Neo-Integralismus, Peter Thiel und die Eschatologie von Jakob Taubes

„Seine Gedanken beherrschen die USA“ titelt DIE ZEIT (N°48, 13. November 2025) und Nicolas Killian fragt „Warum spricht der einflussreiche Milliardär Peter Thiel ständig vom Antichrist?

1. Was ist Neo-Integralismus?

Der Neo-Integralismus ist eine in den USA wiedererstarkende Strömung, die an den katholischen Integralismus des frühen 20. Jahrhunderts anknüpft.
Ihre Kernidee lautet:

Die liberale Moderne ist gescheitert; eine gerechte Ordnung erfordert die Re-Integration von Politik und Religion.

Die zentralen Motive:

  • Ablehnung des Liberalismus als „wertneutraler“ Ordnung.

  • Rückkehr zu metaphysisch begründeter Herrschaft.

  • Betonung hierarchischer, autoritärer Strukturen.

  • Kritische Haltung gegenüber Demokratie und Pluralismus.

  • Politische Theologie als normative Grundlage politischer Ordnung.

Der Neo-Integralismus ist damit ein Gegenentwurf zu liberal-demokratischer Modernität und sucht nach einem transzendent fundierten politischen Projekt.


2. Peter Thiel: Technokapitalistischer Anti-Liberalismus

Peter Thiel ist kein Integralismus-Denker, doch er teilt einige Diagnosen:

Thiels Grundthesen

  • Der Liberalismus ist erschöpft.

  • Demokratie produziert Stagnation.

  • Fortschritt gelingt nur außerhalb traditioneller Institutionen.

  • „Escapism“ durch Technologie (Seasteading, Kryonik, Transhumanismus).

Thiels Denken enthält eine postsäkulare Wendung des Silicon Valley:

  • Technologie ersetzt politische Souveränität.

  • Innovation schafft „Erlösung“ von geschichtlicher Verlangsamung.

  • Kapital und Technologie werden zu eschatologischen Kräften:
    Endzeit als Durchbruch einer neuen Ordnung durch Disruption.

Gemeinsames Element mit dem Neo-Integralismus

Beide Strömungen teilen die Auffassung:

Der Liberalismus ist an sein Ende gelangt.

Doch die Konsequenzen sind gegensätzlich:

Neo-Integralismus Peter Thiel
Rückkehr zu religiöser Ordnung Befreiung durch radikale Technologie
Politische Theologie Techno-Eschatologie
Hierarchie Sezession, Exit
Moralische Reintegration Innovationsgetriebene „Überwindung“

Thiel hat mehrfach Sympathien für Denker der politischen Theologie gezeigt (u. a. Carl Schmitt), allerdings nicht zu einem religiösen Projekt, sondern zu einer entscheidungs- und ordnungstheoretischen Radikalität.


3. Jakob Taubes: Eschatologie als politische Sprengkraft

Jakob Taubes interpretiert das Christentum – besonders bei Paulus – als revolutionäre Eschatologie:

  • Die Weltordnung ist bereits gerichtet.

  • Das Ende ist Gegenwart.

  • Geschichte wird durchbrochen, nicht erfüllt.

  • Die politische Macht ist „katechon“ – Aufschub des Endes.

Taubes sieht im Christentum keine Stabilisierung, sondern eine dynamische Sprengladung gegen jede Ordnung.

Kernthesen Taubes’

  • Eschatologie ist gegen das Imperium gerichtet.

  • Das Ende legitimiert politische Revolution, nicht Restauration.

  • Jede Ordnung ist vorläufig, prekär, zum Sturz bestimmt.

  • Erlösung = Bruch, nicht Kontinuität.


4. Die überraschende Verbindung der drei Positionen

(a) Gemeinsamer Nenner: Kritik der liberalen Moderne

Alle drei beschreiben die Moderne als erschöpft, blockiert oder dekadent:

  • Der Integralismus religiös-theologisch

  • Thiel technokapitalistisch

  • Taubes politisch-theologisch-antikatechonisch

(b) Unterschiedliche Antworten auf das Ende des Liberalismus

  • Neo-Integralismus will zurück zur sakralen Ordnung.

  • Thiel will vorwärts in eine techno-utopische Erneuerung.

  • Taubes sieht das Ende als radikale Destabilisierung, nicht als „Projekt“.

(c) Eschatologische Struktur

Alle drei haben ein eschatologisches Motiv, doch in radikal unterschiedlicher Form:

Strömung Form der Eschatologie
Neo-Integralismus restaurativ → Rückkehr zur heiligen Ordnung
Peter Thiel futuristisch → technologische Erlösung
Jakob Taubes revolutionär → Zerstörung des Bestehenden

(d) Thiel zwischen Integralismus und Taubes

Thiel steht ideengeschichtlich zwischen beiden Polen:

  • Mit dem Integralismus teilt er die Diagnose, dass Liberalismus gescheitert ist.

  • Mit Taubes teilt er das Motiv der disruptiven „Endzeit-Energie“.

Aber:

  • Taubes will radikal-politische Negation.

  • Thiel möchte das Ende instrumentalisiert sehen:
    Erlösung durch Technologie statt Theologie.


5. Warum diese Konstellation intellektuell hochinteressant ist

Weil sie drei unterschiedliche Antworten auf dieselbe Frage geben:

Wie endet die Moderne – und was kommt danach?

  • Der Neo-Integralismus antwortet mit Rückkehr.

  • Peter Thiel antwortet mit Überbietung.

  • Taubes antwortet mit Zerstörung.

Sie repräsentieren drei archetypische Endzeitlogiken der Gegenwart:

  1. die sakrale Restauration,

  2. die technologische Transzendenz,

  3. die apokalyptische Revolution.

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Dr. Eduard Rappold, MSc ist ein erfahrener Forscher und Arzt, der sich seit Jahrzehnten für geriatrische PatientInnen einsetzt. In seinem Bemühen für Alzheimer-Erkrankte eine immer bessere Versorgung zu ermöglichen, wurde er 2003 mit dem Gesundheitspreis der Stadt Wien für das Ernährungszustandsmonitoring von Alzheimer-Kranken ausgezeichnet. Im Zuge seines Masterstudiums der Geriatrie hat er seine Entwicklung des Epigenetic Brain Protector wissenschaftlich fundiert und empirisch überprüft. Im September 2015 gründete er NUGENIS, ein Unternehmen, mit dem er Wissenschaft und Anwendung zusammenbringen möchte. Damit können Menschen unmittelbar von den Ergebnissen der Angewandten Epigenetik für ihre Gesundheit profitieren. Mit dem Epigenetic Brain Protector hat Dr. Eduard Rappold, MSc bereits für internationales Aufsehen gesorgt – auf der international wichtigsten Innovationsmesse, der iENA, wurde er 2015 mit einer Goldmedaille für hervorragende Leistungen zum Schutz vor Neurodegeneration ausgezeichnet. Auf den Webseiten nugenis.eu, epigenetik.at, spermidine-soyup.com und facebook.com/nugenis können Themen zur Epigenetik und Aktuelles nachgelesen werden.