Geschichten von den Anfängen der Epigenetik und Psyche – Zweiter Teil: ein Puzzle (3)
„Wunderdroge“ Cortison
Mitte des letzten Jahrhunderts entdeckte eine Forschergruppe an der Mayo-Klinik die klinischen Grundlagen der „Wunderdroge“ Cortison. Die antirheumatische Wirkung des Cortisons wurde ab April des Jahres 1949 publik gemacht. Es kam zu einem regelrechten Triumphzug der neuen Substanz; die hauptsächlich beteiligten Forscher erhielten bereits 1951 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie.
Ein wesentlicher Promotor zur chemischen Definition von Cortison war Edward C. Kendall (1886 bis 1972), der seit Gründung des biochemischen Labors an der Mayo-Klinik (1914) die entsprechende Abteilung leitete. Seit den frühen 1930er Jahren hatte sich die Arbeitsgruppe um Kendall das Ziel gesteckt, die eigentliche Wirksubstanz oder die Wirksubstanzen der Nebennierenrinde zu isolieren sowie „chemisch zu definieren und dann nach Möglichkeit nach der teilweisen oder sogar vollsynthetischen Herstellung zu suchen“ .
Auch der Chemiker Tadeusz Reichstein (1897 bis etwa 1996) von der Firma Ciba in Basel widmete sich dem Problem der Extraktion und Reindarstellung von Nebennierenrindenhormonen. Die Arbeitsgruppe um Reichstein konnte 1936 nachweisen, dass die gesuchten Hormone chemisch zur Stoffklasse der Steroide gehören. Insbesonders wurde die später so genannte Substanz „Cortison“ gleich dreimal isoliert und unterschiedlich bezeichnet: als „compound F“ von Wintersteiner, als „Substanz Fa“ durch Reichstein und als „compound E“ von der Arbeitsgruppe um Kendall. Das später dargestellte Cortisol oder Hydrocortison wurden 1937/38 von Reichstein hergestellt.
Die „Stressachse“
Es blieb dem Forscher Hans Selye (*1907 in Wien, †1982 in Montreal) vorbehalten, eine prägnante Unterteilung der Nebennierenrindenhormone in „Glucocorticosteroide“ und „Mineralocorticosteroide“ vorzunehmen, also in Hormone, die primär auf den Kohlenhydratstoffwechsel oder primär auf den Wasser- und Mineralhaushalt einwirken. Das mit Abstand therapeutisch verbreitetste Rindenhormon der 1940er Jahre war Desoxycorticosteron.
Hans Selye entdeckt die übergeordnete Hormonsteuerung – Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA)
Trotz der bereits Jahrzehnte lang betriebenen endokrinologischen Forschung war die Funktion der Nebennierenrinde im physiologischen Zusammenspiel noch weitgehend unbekannt. Hier lieferte ein Schüler von Arthur Biedl in Prag, Hans Selye, wesentliche Beiträge. Wie er in seiner Autobiographie ausführlich nachzeichnet, war er bei seinen Überlegungen von der Frage ausgegangen, was eigentlich die „Krankheit“ ausmache und warum es bei ganz unterschiedlichen Ursachen zu letztlich sehr ähnlichen Körperreaktionen komme.
Selye prägte zunächst den Begriff „Stress“ für ganz verschiedene, letztlich unspezifische Krankheitsursachen. So reagiere der Körper auf Stress unterschiedlicher Art recht stereotyp. Er versuche sich anzupassen („Allgemeines Adaptationssyndrom“), und zwar in gesetzmäßigen Stadien: Zunächst kommt es unter dem Eindruck des Schocks zu einer Gegenreaktion (Widerstandsphase) des Körpers, in der zweiten Phase zu einer zunehmenden Widerstandsfähigkeit mit weitgehender Anpassung an die neue Lage und schließlich in der dritten Phase zur Erschöpfung mit Verlust der Anpassungsfähigkeit.
Dieses „allgemeine Adaptationssyndrom“ ist nach Selye wesentlich über die Nebenniere – und zwar Mark und Rinde – vermittelt und einer komplizierten Regelung unterworfen. Er betrachtete die Nebennierenrinde als Teil der von ihm so genannten „Hypophysen-Nebennieren-Achse“, die ihrerseits der zentralen Steuerung durch das Hypophysenhormon ACTH (Corticotropin) unterliegt. Später kam das Wissen um die Bedeutung des Hypothalamus hinzu. Damit konnte Selye zeigen, dass die Nebennierenrindenhormone für das innere Gleichgewicht des Organismus verantwortlich und von einem zentralnervösen Organ – eben der Hirnanhangsdrüse – gesteuert werden. Jedoch stieß seine Konzeption einer allgemeinen Krankheit und von unspezifischen Krankheiten auch auf Skepsis und Widerspruch. Rezeptionsgeschichtlich wurden insbesondere die allgemeinen Begriffe wie „Stress“, „Adaptationssyndrom“ oder „Hypophysen-Nebennieren-Achse“ zur Kenntnis genommen, ebenso Selyes griffige Unterscheidung zwischen Mineralo- und Glucocorticoiden. Sein Beitrag zur Erkenntnis der Zusammenhänge von Arthritis und Nebennierenrindenhormonen wurde hingegen nur wenig beachtet.
Kaiser, H., Cortisonderivate in Klinik und Praxis. Stuttgart 1987.
„Weisheit des Körpers“
Walter Bradford Cannon (* 1871, † 1945)
Cannon, der in Harvard arbeitete, schlug die Bezeichnung Homöostase für die koordinierten physiologischen Prozesse vor, die die meisten stationären Zustände im Organismus aufrechterhalten und brachte das Konzept der „Homöostase“ in seinem Buch „Weisheit des Körpers“ an die Öffentlichkeit. Cannon prägte auch den Begriff Kampf und Flucht, um die Reaktion eines Tieres auf Bedrohungen zu beschreiben. Das Konzept von Flucht und Kampf sieht vor, dass Tiere auf Bedrohungen mit einer allgemeinen Aktivierung des sympathischen Nervensystems reagieren und das Tier für den Kampf oder die Flucht vorbereiten. Diese Reaktion wurde später als erstes Stadium (akute Stressreaktion) eines von Hans Selye postulierten allgemeinen Adaptationssyndroms als universelle Stressreaktion bei Wirbeltieren und anderen Organismen beschrieben.
Stress kann das Gehirn verändern
Bruce Sherman McEwen war ein US-amerikanischer Neurophysiologe und Neuroendokrinologe an der Rockefeller University. McEwen wurde vor allem bekannt durch seine Arbeiten zum Einfluss von Stress und von Sexualhormonen auf das Gehirn, insbesondere auf Hippocampus und Amygdala. Eine unerbittliche Flut von Stresshormonen kann den Körper zerstören und zu Krankheiten, Depressionen, Fettleibigkeit und vielem mehr führen. 1968 beschrieb Dr. McEwen die Belastung durch anhaltenden Stress und prägte den Begriff „allostatische Belastung“ (abgeleitet von der Allostase, dem Prozess, durch den der Körper versucht, als Reaktion auf Stressoren wieder Stabilität oder Homöostase zu erlangen).
Jaak Panksepp´s (*1943 und † 2017) Karriere dauerte 50 Jahre. Er prägte den Begriff „Affective Neuroscience“, der heute als einzigartiges Forschungsgebiet in der speziesübergreifenden Hirnforschung anerkannt ist. Panksepp hat sieben primäre emotionale Systeme herausgearbeitet, die SEEKING, CARE, PLAY und LUST auf der positiven Seite heißen, während FEAR, SADNESS und ANGER zu den negativen Affekten gehören. Sein evolutionärer Ansatz bestätigte Darwins Kontinuitätstheorie, dass Menschen auch Tiere sind.
Panksepp, J., and Biven, L. (2012). The Archeology of Mind. New York, NY: W.W. Norton and Company.
Kenneth L. Davis and Christian Montag. Selected Principles of Pankseppian Affective Neuroscience. Front. Neurosci., 17 January 2019
Beständigkeit des milieus intérieur
Claude Bernard (*1813 †1878) war ein französischer Arzt, Pharmazeut und Experimentalphysiologe. Er sah den Organismus als selbstregulierendes System an und schuf Grundlagen der Biochemie und moderner wissenschaftlicher Methodik in der Medizin.
Einer der größten Physiologen der Wissenschaftsgeschichte, Claude Bernard, war der erste, der offiziell erklärte, wie Zellen und Gewebe in mehrzelligen Organismen vor Stress geschützt werden könnten. Er wies 1859 darauf hin, dass das innere Medium des lebenden Organismus nicht nur ein Mittel ist, um Nahrung in die Zellen zu transportieren. Vielmehr „ist es die Beständigkeit des milieus intérieur, die die Bedingung für ein freies und unabhängiges Leben ist“. Das heißt, die Zellen sind von einem internen Medium umgeben, das Änderungen der Säure-Base-, der gasförmigen (O2 und CO2)- und der Ionenkonzentrationen und anderer biologischer Modalitäten puffert, um Änderungen um biologisch bestimmte Sollwerte herum zu minimieren, wodurch ein stabiler Zustand geschaffen wird.
„Science is my life“
Hans Tuppy´s, * 22. Juli 1924 in Wien, besonderes Interesse galt der Polypeptid- und Proteinchemie. Ein Stipendium des British Council ermöglichte im Herbst 1949 einen einjährigen Aufenthalt im Biochemischen Institut der Universität Cambridge bei Frederick Sanger und die Mitarbeit an der Aufklärung der Aminosäuresequenz des Insulins, ein Meilenstein der Biochemie, für den Sanger 1958 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Am II. Chemische Institut der Medizinischen Universiät Wien, begann er seine Arbeiten über Struktur und Funktion von Oxytocin, Cytochrom c und anderen Cytochromen. Die Cytochrom-Studien führten zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem Medizinischen Nobel-Institut in Stockholm.
Abb. Hans Tuppy
Sein Mitarbeiter an der Medizinischen Universität Wien Gottfried Schatz (*1936 in Strem, Österreich, † 2015) war später Professor für Biochemie an der Cornell University (USA) und von 1974 bis 2000 am Biozentrum der Universität Basel. Gottfried Schatz hat sich als Mitochondrien-Forscher einen Namen in der Wissenschaftswelt gemacht. Er war führend an der Aufklärung der Bildung von Mitochondrien beteiligt und ist Mitentdecker der mitochondrialen DNA. Seine Erkenntnis, dass diese DNA jedoch nur für einige wenige Proteine kodiert, war ausschlaggebend für seine weiteren Forschungen, die sich mit dem Import von Proteinen in die Mitochondrien und den Abbau von Proteinen innerhalb der Mitochondrien beschäftigte. Schatz entdeckte ein komplexes Transportsystem, das Mitochondrien-Proteine, die im Zytoplasma gebildet werden, anhand spezifischer Signale erkennt und in die Mitochondrien einschleust. Dieses System beinhaltet zwei Proteinkomplexe, die bei Mutationen den Proteinimport beeinträchtigen und Krankheiten wie das neurodegenerative Mohr-Tranebjaerg-Syndrom, das zu Taubheit führt, verursachen können.
mitochondriale Permeabilitätstransitionspore (PTP)
Guido Kroemer (* 1961 Deutschland) ist ein österreichisch–spanischer Molekularbiologe und Immunologe an der Universität Paris Descartes. Er ist vor allem für seine Entdeckung bekannt, dass das Durchlässigwerden (permeabilization)der Mitochondrien-Membran ein entscheidender Schritt beim programmierten Zelltod (Apoptose) ist. Die mitochondriale Permeabilitätstransitionspore (PTP) befindet sich in der inneren Mitochondrienmembran und spielt eine wesentliche Rolle im Mechanismus des apoptotischen Zelltodes. Die Öffnung dieser Pore bewirkt die Freisetzung proapoptotischer Signalmoleküle aus dem Intermembranspalt.
Recycling von Zellbestandteilen
Der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 2016 wurde an den japanischen Wissenschaftler Yoshinori Ohsumi für seine Entdeckung der ATG-Gene verliehen, die die Autophagie steuern . Ein Mechanismus, der das Recycling von Zellbestandteilen reguliert und an dessen Veränderung bekanntermaßen zahlreiche beteiligt sind Krankheiten wie Krebs und bestimmte neurodegenerative und Stoffwechselerkrankungen.
soziale Epigenetik
Moshe Szyf (*1955 in London) ist einer der Pioniere auf dem Gebiet der Epigenetik. Seine Forschung konzentriert sich auf das Verständnis der breiten Implikationen epigenetischer Mechanismen für menschliches Verhalten, Gesundheit und Krankheit. So hat Szyfs Labor schon vor drei Jahrzehnten vorgeschlagen, dass die DNA-Methylierung ein vorrangiges therapeutisches Ziel bei Krebs und anderen Krankheiten ist, und die ersten Beweise dafür postuliert und geliefert, dass das „soziale Umfeld“ die DNA-Methylierung verändern kann, was infolge das aufstrebende Feld der „sozialen Epigenetik“ hervorbrachte.
Telemere und Telemerase
Elizabeth Helen „Liz“ Blackburn (* 26. November 1948 in Hobart, Tasmanien) (University of California, San Francisco ist eine australisch–US-amerikanische Molekularbiologin, ), laut Times eine der 100 einflussreichsten Personen der Welt, fand heraus, dass die Enden der Chromosomen aus sich mehrfach wiederholenden DNA-Sequenzen von unterschiedlicher Länge bestehen. Diese Endstücke werden Telemere genannt.
Carolyn Widney “ Carol “ Greider (* 15. April 1961 in London ) Dr. Greider entdeckte das Enzym Telomerase 1984 als Doktorandin von Elizabeth Blackburn an der University of California in Berkeley .
Jack William Szostak (* 9. November 1952 in London) (Massachusetts General Hospital in Bosten) ist ein kanadisch–US-amerikanischer Molekularbiologe britisch–polnischer Abstammung, der durch seine Arbeiten über das Enzym Telomerase bekannt wurde.
Ihm wurde zusammen mit Elizabeth Blackburn und Carol W. Greider der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für 2009 zugesprochen.
Ihr Eduard Rappold