
Epigenetik des Krieges: Wie der Ukraine-Konflikt Spuren in den Genen hinterlässt
Der Krieg in der Ukraine hat nicht nur unmittelbare humanitäre und gesellschaftliche Folgen, sondern wirkt sich auch auf einer tieferen, biologischen Ebene aus. Neueste Forschungen zeigen, dass traumatische Erlebnisse, chronischer Stress, Hunger und Umweltfaktoren epigenetische Veränderungen hervorrufen können – also Anpassungen in der Genregulation, die langfristige Auswirkungen auf Überlebende und ihre Nachkommen haben.
Epigenetische Narben: Wie Krieg Gene beeinflusst
Epigenetik beschreibt Mechanismen, die bestimmen, welche Gene aktiv oder stillgelegt werden – ohne dass sich die DNA-Sequenz selbst verändert. Diese Mechanismen sind sensibel gegenüber äußeren Faktoren wie extremem Stress, Mangelernährung und Traumata, die in Kriegszeiten allgegenwärtig sind.
Soldaten im Kampf: Die genetische Last des Krieges
Ukrainische Soldaten stehen unter extremem psychischem und physischem Druck. Diese dauerhafte Belastung kann zu epigenetischen Veränderungen in Stresshormon-Regulationsgenen wie NR3C1 (Glucocorticoid-Rezeptor) und FKBP5 führen. Die Folge:
- Höhere Anfälligkeit für PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung)
- Langfristige Veränderungen der Gehirnstruktur durch übermäßige Cortisolausschüttung
- Beeinträchtigte emotionale Verarbeitung und Impulskontrolle
Vergleichbare epigenetische Veränderungen wurden bereits bei Veteranen anderer Kriege nachgewiesen – etwa bei US-Soldaten, die in Afghanistan oder Vietnam kämpften.
Die Zivilbevölkerung: Traumata, Hunger und generationsübergreifende Folgen
Frauen, Kinder und ältere Menschen sind in Kriegszeiten oft massiven Bedrohungen ausgesetzt – durch Vertreibung, Bombardierungen, Hunger und die ständige Angst ums Überleben. Studien an Holocaust-Überlebenden und ihren Nachkommen zeigen, dass solche Erfahrungen tief in die Genregulation eingreifen und an zukünftige Generationen weitergegeben werden können.
Übertragung von Trauma auf die nächste Generation
Die Forschung an Holocaust-Überlebenden und Nachkommen von Kriegsopfern hat gezeigt, dass epigenetische Modifikationen an den Stressregulationsgenen (wie NR3C1) an Kinder und Enkelkinder weitergegeben werden können.
- Erhöhte Anfälligkeit für Angststörungen und Depressionen bei den Nachkommen
- Veränderte Stressverarbeitung bereits im Kindesalter
- Höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgrund epigenetischer Anpassungen des Stoffwechsels
Es ist zu erwarten, dass Kinder, die den Krieg in der Ukraine miterleben, ebenfalls solche epigenetischen Veränderungen tragen und diese an ihre eigenen Kinder weitergeben.
Mangelernährung und epigenetische Folgen
Kriege führen oft zu Unterernährung – entweder durch Nahrungsmittelknappheit oder durch Stress-bedingte Stoffwechselveränderungen. Die Holländische Hungerwinter-Studie hat gezeigt, dass Kinder, die während einer Hungersnot gezeugt wurden, lebenslang ein erhöhtes Risiko für Diabetes, Herzkrankheiten und Fettleibigkeit aufwiesen – eine direkte Folge epigenetischer Prägung.
Angesichts der Lebensmittelknappheit in umkämpften Regionen der Ukraine könnten ähnliche epigenetische Effekte auftreten und langfristig die Gesundheit der betroffenen Bevölkerung beeinflussen.
Epigenetik als Hoffnung: Kann der Schaden rückgängig gemacht werden?
Die gute Nachricht ist, dass epigenetische Veränderungen oft reversibel sind. Durch gezielte Maßnahmen wie psychologische Betreuung, soziale Unterstützung, gesunde Ernährung und Bewegung können viele negative epigenetische Marker abgeschwächt oder sogar rückgängig gemacht werden.
Langfristig könnten epigenetische Forschungen helfen, bessere Behandlungsmöglichkeiten für traumatisierte Soldaten und Zivilisten zu entwickeln. Besonders frühe Interventionen bei betroffenen Kindern könnten entscheidend sein, um die epigenetischen Langzeitfolgen des Krieges zu mildern.
Der Krieg in der Ukraine wird nicht nur in der Geschichte, sondern auch in den Genen seiner Opfer Spuren hinterlassen.
Die epigenetische Forschung zeigt, dass Krieg nicht nur eine Angelegenheit von heute ist – sondern Auswirkungen auf zukünftige Generationen haben kann.
Doch ebenso bietet sie Hoffnung: Durch gezielte Maßnahmen können negative epigenetische Muster beeinflusst und die Gesundheit zukünftiger Generationen verbessert werden.
Die Wissenschaft der Epigenetik hilft uns, diese unsichtbaren, aber tiefgreifenden Kriegsfolgen zu verstehen – und vielleicht eines Tages Wege zu finden, sie zu heilen.
Ihr
Eduard Rappold