Wie beeinflusst die individuelle Psychopathologie die Gesellschaft als Ganzes? – Das Unheimliche an unserer Gesellschaft

Die individuelle Psychopathologie hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes, und viele Denker haben versucht, diese Dynamik zu verstehen und zu erklären. Hier sind einige zentrale Aspekte und Beispiele, die die Beziehung zwischen individueller Psychopathologie und gesellschaftlicher Entwicklung beleuchten:

1. Erich Fromm: Die Pathologie der Normalität

Erich Fromm, ein bedeutender Vertreter der Kritischen Theorie, argumentierte, dass gesellschaftliche Strukturen oft krankhafte Charakterzüge bei Individuen fördern. In seinem Werk „Die Pathologie der Normalität“ beschreibt Fromm, dass eine Gesellschaft, die auf Kapitalismus, Materialismus und Konkurrenz basiert, egoistische und narzisstische Tendenzen in den Menschen verstärkt. Diese kollektive Neurose manifestiert sich in sozialen Phänomenen wie Entfremdung, Isolation und einem Verlust von Empathie und Mitgefühl.

2. Hans-Joachim Maaz: Das falsche Selbst

Der Psychiater Hans-Joachim Maaz untersucht die Auswirkungen von individuellen seelischen Störungen auf gesellschaftliche Strukturen. In seinem Buch „Der Gefühlsstau“ beschreibt er, wie Menschen durch traumatische Erfahrungen in der Kindheit ein „falsches Selbst“ entwickeln, um gesellschaftliche Erwartungen zu erfüllen. Diese Anpassung führt zu einer Massenneurose, in der emotionale Unterdrückung und psychische Probleme weit verbreitet sind. Die gesellschaftlichen Konsequenzen sind soziale Spannungen, ein Anstieg von psychischen Erkrankungen und eine wachsende Unzufriedenheit.

3. Elias Canetti: Masse und Macht

Elias Canetti untersuchte in seinem Werk „Masse und Macht“ die Psychopathologie der Massenpsychologie. Er beschreibt, wie Individuen in der Masse ihre Identität verlieren und zu einem Teil eines kollektiven Wahnsinns werden können. Die Dynamiken der Masse, so Canetti, können zu irrationalem Verhalten führen, das im Extremfall in Gewalt und Krieg mündet. Hier zeigt sich, wie individuelle psychopathologische Tendenzen in einer kollektiven Struktur potenziert werden können.

4. Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur

Freud erkannte in „Das Unbehagen in der Kultur“, dass die Unterdrückung individueller Triebe und Wünsche zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung notwendig ist, aber auch zu psychischem Leiden führt. Diese innere Spannung zwischen individuellen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Normen führt zu Neurosen, die sich in der gesamten Gesellschaft verbreiten können. Freud sieht in der Psychopathologie der Individuen eine Grundbedingung für die Entstehung von Kultur, aber auch eine Quelle des Unbehagens und der sozialen Konflikte.

Der Begriff „Das Unheimliche“ wurde von Sigmund Freud in einem Essay von 1919 eingehend analysiert und beschreibt ein Gefühl, das entsteht, wenn etwas Vertrautes auf eine beunruhigende Weise fremd oder bedrohlich wird. In Bezug auf unsere Gesellschaft lässt sich dieser Begriff nutzen, um verschiedene beunruhigende Phänomene zu beschreiben, die als Ausdruck einer kollektiven Psychopathologie betrachtet werden können.

1. Die Entfremdung in einer technologisierten Welt

In der modernen Gesellschaft führt der rasante technologische Fortschritt zu einer zunehmenden Entfremdung des Individuums von seiner Umgebung und von sich selbst. Soziale Medien, künstliche Intelligenz und die allgegenwärtige Digitalisierung schaffen eine Realität, die zwar vertraut ist, gleichzeitig aber auch eine unheimliche Distanz schafft. Das Gefühl, dass die Welt, in der wir leben, nicht mehr „wirklich“ oder greifbar ist, sondern durch eine Art Schleier von Technologie und künstlichen Konstrukten vermittelt wird, erzeugt eine subtile, aber allgegenwärtige Unheimlichkeit.

2. Die Fragmentierung der sozialen Bindungen

Unsere Gesellschaft ist zunehmend fragmentiert, sei es durch politische Polarisierung, soziale Isolation oder die Auflösung traditioneller Gemeinschaftsstrukturen. Diese Fragmentierung führt zu einem Verlust an sozialen Bindungen und Zugehörigkeitsgefühlen, was bei vielen Menschen ein Gefühl von Unheimlichkeit hervorruft. Das, was einst vertraut war – Gemeinschaft, stabile soziale Netzwerke – erscheint plötzlich unsicher und bedrohlich. Diese Unsicherheit erzeugt Angst und ein unheimliches Gefühl der Verlorenheit.

3. Der Verlust von Authentizität

Das Gefühl des Unheimlichen kann auch durch den Verlust von Authentizität in der modernen Gesellschaft ausgelöst werden. Wir leben in einer Welt, in der Oberflächlichkeit, Konsumkultur und die Inszenierung des Selbst oft wichtiger erscheinen als echte zwischenmenschliche Beziehungen oder tiefergehende Werte. Diese Diskrepanz zwischen Schein und Sein – das Gefühl, dass hinter der glatten Oberfläche etwas Fremdes, Bedrohliches lauert – verstärkt das unheimliche Gefühl, dass die Gesellschaft sich in eine Richtung entwickelt, die nicht mehr mit unserem inneren Selbst übereinstimmt.

4. Die Macht der anonymen Kräfte

In der modernen Gesellschaft gibt es viele anonyme Kräfte – wie globale Finanzmärkte, große Konzerne und unpersönliche Bürokratien – die das Leben der Menschen maßgeblich beeinflussen. Diese Kräfte sind oft schwer zu durchschauen und zu kontrollieren, was ein Gefühl von Machtlosigkeit und Ohnmacht hervorruft. Das Unheimliche entsteht hier durch das Bewusstsein, dass das Leben von unsichtbaren Mächten gesteuert wird, die sich unserer Kontrolle entziehen und deren Motive wir nicht vollständig verstehen.

5. Die Rückkehr des Verdrängten

Freud argumentierte, dass das Unheimliche auch durch die Rückkehr des Verdrängten entsteht – also durch die Wiederkehr von Ängsten, Wünschen oder Erinnerungen, die wir versucht haben, zu unterdrücken. Auf gesellschaftlicher Ebene könnte dies das Wiederaufleben von extremistischen Ideologien, Rassismus oder anderen gesellschaftlichen Tabus sein, die in Zeiten von Krisen und Unsicherheit wieder an die Oberfläche treten. Diese Rückkehr des Verdrängten schafft eine kollektive Unheimlichkeit, da sie uns mit den dunklen Seiten unserer Geschichte und unserer Gesellschaft konfrontiert.

6. Das Unheimliche im Kontext der Globalisierung

Die Globalisierung hat dazu geführt, dass die Welt gleichzeitig kleiner und komplexer geworden ist. Diese Vernetzung bringt nicht nur Vorteile, sondern auch neue Unsicherheiten und Bedrohungen. Die Konfrontation mit fremden Kulturen, globalen Krisen und unvorhersehbaren wirtschaftlichen Veränderungen kann ein Gefühl des Unheimlichen hervorrufen, das aus dem Bewusstsein resultiert, dass das Vertraute ständig durch das Fremde bedroht wird.

 

5. Rüdiger Safranski: Das Böse oder Das Drama der Freiheit

Rüdiger Safranski untersucht in seinem Werk „Das Böse oder Das Drama der Freiheit“ die dunklen Seiten der menschlichen Psyche und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft. Er analysiert, wie individuelle pathologische Tendenzen, insbesondere das Böse, in bestimmten historischen Momenten massenwirksam werden können, wie beispielsweise im Nationalsozialismus. Safranski zeigt, wie individuelle Psychopathologie in der Lage ist, kollektive Katastrophen herbeizuführen.

6. Peter Sloterdijk: Kritik der Zynischen Vernunft

Peter Sloterdijks Werk „Kritik der zynischen Vernunft“ bietet eine weitere tiefgehende Analyse, wie individuelle Psychopathologie und gesellschaftliche Strukturen miteinander verwoben sind, insbesondere im Kontext der modernen Gesellschaft.

Zynismus als Zeitgeist

In „Kritik der zynischen Vernunft“ beschreibt Sloterdijk den Zynismus als eine der vorherrschenden mentalen Haltungen der modernen Gesellschaft. Zynismus, in Sloterdijks Sinne, ist eine Art „aufgeklärtes falsches Bewusstsein“. Menschen sind sich der Widersprüche und Probleme in der Gesellschaft bewusst, aber sie handeln dennoch so, als könnten sie nichts ändern. Dieser Zynismus ist eine Form der kollektiven Psychopathologie, die auf einer Mischung aus Desillusionierung und Anpassung beruht.

Psychopathologie des Zynismus

Sloterdijk argumentiert, dass der moderne Mensch in einer Art kognitiver Dissonanz lebt: Er weiß um die Probleme und Missstände, passt sich aber dennoch an, um seinen Platz in der Gesellschaft zu sichern. Dieser Zynismus ist eine Schutzstrategie gegen das Gefühl der Ohnmacht und das Eingeständnis der eigenen Mitverantwortung für gesellschaftliche Missstände. Es ist eine Form der psychischen Selbstverteidigung, die auf der Ebene des Einzelnen als eine Art emotionaler und intellektueller Distanzierung funktioniert, auf gesellschaftlicher Ebene jedoch zu einer Haltung der Gleichgültigkeit und moralischen Apathie führt.

Gesellschaftliche Auswirkungen des Zynismus

Sloterdijk zeigt auf, dass dieser zynische Geist dazu führt, dass sich Menschen immer mehr in individuelle Rückzugsräume begeben und das Gemeinwohl vernachlässigen. Der Zynismus blockiert somit kollektive Aktion und Solidarität, da jeder davon ausgeht, dass Änderungen entweder unmöglich sind oder von anderen übernommen werden müssen. Dies führt zu einer gesellschaftlichen Stagnation und einer Erosion gemeinsamer Werte und Ziele.

Zynische Vernunft und Machtstrukturen

Ein weiteres wichtiges Element in Sloterdijks Analyse ist, wie der Zynismus mit Machtstrukturen verflochten ist. Zynische Vernunft wird oft von Eliten genutzt, um Herrschaft und Ungleichheit zu rechtfertigen. Indem man Probleme zynisch anerkennt, ohne ernsthafte Lösungsversuche zu unternehmen, wird eine Form der Stabilität geschaffen, die den Status quo zementiert. Diese Haltung verbreitet sich durch die gesamte Gesellschaft und untergräbt das Vertrauen in die Möglichkeit einer besseren, gerechteren Welt.

Resignation und Anpassung

Schließlich führt der zynische Geist zu einer resignierten Anpassung, bei der das Individuum zwar kritisch ist, aber gleichzeitig die Hoffnung auf Veränderung aufgibt. Diese Haltung wirkt sich lähmend auf gesellschaftliche Bewegungen und den sozialen Fortschritt aus, da sie die Energie und den Willen zur Veränderung untergräbt.

 

Ihr

Eduard Rappold

 

Dr. Eduard Rappold, MSc ist ein erfahrener Forscher und Arzt, der sich seit Jahrzehnten für geriatrische PatientInnen einsetzt. In seinem Bemühen für Alzheimer-Erkrankte eine immer bessere Versorgung zu ermöglichen, wurde er 2003 mit dem Gesundheitspreis der Stadt Wien für das Ernährungszustandsmonitoring von Alzheimer-Kranken ausgezeichnet. Im Zuge seines Masterstudiums der Geriatrie hat er seine Entwicklung des Epigenetic Brain Protector wissenschaftlich fundiert und empirisch überprüft. Im September 2015 gründete er NUGENIS, ein Unternehmen, mit dem er Wissenschaft und Anwendung zusammenbringen möchte. Damit können Menschen unmittelbar von den Ergebnissen der Angewandten Epigenetik für ihre Gesundheit profitieren. Mit dem Epigenetic Brain Protector hat Dr. Eduard Rappold, MSc bereits für internationales Aufsehen gesorgt – auf der international wichtigsten Innovationsmesse, der iENA, wurde er 2015 mit einer Goldmedaille für hervorragende Leistungen zum Schutz vor Neurodegeneration ausgezeichnet. Auf den Webseiten nugenis.eu, epigenetik.at, spermidine-soyup.com und facebook.com/nugenis können Themen zur Epigenetik und Aktuelles nachgelesen werden.