
Der Mensch als Holobiont: Epigenetik und das symbiotische Selbst
„Ich bin – wir sind.“
Diese Aussage ist keine bloße Metapher, sondern beschreibt ein biologisches Faktum.
Denn der Mensch ist kein isoliertes Individuum, sondern ein Holobiont: ein ökologisches Kollektiv, das aus menschlichen und mikrobiellen Zellen besteht – gemeinsam evolutionär gewachsen, funktionell verflochten.
In Zeiten von Individualisierung, Selbstoptimierung und genetischem Narzissmus liefert die moderne Epigenetik ein radikal anderes Menschenbild: Wir sind Beziehungswesen – auf molekularer wie gesellschaftlicher Ebene.
Was ist ein Holobiont?
Der Begriff Holobiont (griechisch hólos = ganz, vollständig) wurde ursprünglich für Korallen geprägt, die mit Algen und Bakterien in stabiler Symbiose leben. Heute wissen wir: Auch der Mensch ist ein solches Verbundwesen.
Wir bestehen nicht nur aus „uns selbst“, sondern auch aus Billionen von Bakterien, Viren, Pilzen und Archaeen, deren genetisches Potenzial unsere Gesundheit, Entwicklung und sogar unser Verhalten mitprägt.
Kategorie | Anzahl |
---|---|
Menschliche Zellen | ~30 Billionen |
Mikrobielle Zellen | ~39–100 Billionen |
Menschliche Gene | ~20.000–25.000 |
Mikrobielle Gene (Mikrobiom) | >3.000.000 |
Wir bestehen zellulär zu über 50 % aus Mikroorganismen – und tragen in unserem Mikrobiom ein Vielfaches an genetischer Information verglichen mit unserem „eigenen“ Genom.
Mikrobiota – unsere innere Ökologie
Insbesondere die Darmmikrobiota übernimmt entscheidende Aufgaben im menschlichen Organismus:
Funktion | Bedeutung |
---|---|
Verdauung & Energie | Abbau von Ballaststoffen, Vitaminproduktion |
Immunmodulation | Reifung und Schulung des Immunsystems |
Epigenetik & Genregulation | Kurzkettige Fettsäuren (z. B. Butyrat) modulieren Histonmodifikation |
Gehirn & Verhalten | Mikrobielle Signale beeinflussen die Hirnfunktion („Darm-Hirn-Achse“) |
Entzündungsregulation | Schutz vor chronischer, „stiller“ Inflammation |
Dieses „innere Ökosystem“ kommuniziert mit unserem Gehirn, beeinflusst unsere Stimmungen, unser Verhalten – und ist gleichzeitig epigenetisch aktiv.
Holobiont und Epigenetik: Das molekulare Wechselspiel
Die Epigenetik – also die Regulation der Genaktivität ohne Veränderung der DNA-Sequenz – ist das zentrale Kommunikationsmedium zwischen Umwelt, Mikrobiom und unseren Zellen.
Beispiele für epigenetische Effekte mikrobieller Stoffwechselprodukte:
-
Butyrat (aus ballaststoffreicher Ernährung): hemmt Histon-Deacetylasen → fördert Neuroplastizität, hemmt Entzündungen
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TMAO (aus Fleischkonsum): kann DNA-Methylierung pro-inflammatorisch beeinflussen
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Dysbiose (Mikrobiom-Ungleichgewicht): assoziiert mit Depression, ADHS, Alzheimer – über epigenetisch regulierte Immun- und Neurotransmittersysteme
Das bedeutet: Unser Mikrobiom wirkt als epigenetischer Co-Regisseur unserer körperlichen und psychischen Gesundheit.
Das Selbst in Koexistenz – ein Paradigmenwechsel
Das klassische Menschenbild der Biologie war lange Zeit vom genetischen Determinismus geprägt:
Das Ich galt als abgeschlossenes, autonomes System, gesteuert von seinen Genen – gegen eine äußere Umwelt abgegrenzt.
Doch die Epigenetik zeigt:
Gene sind keine starren Baupläne, sondern kontextabhängige Möglichkeiten. Ihre Aktivität wird durch Umwelteinflüsse, soziale Erfahrungen, Ernährung und mikrobielle Signale moduliert.
Die Folge ist eine neue Sichtweise auf das Selbst:
Identität ist nicht nur genetisch, sondern auch mikrobiell, epigenetisch, relational
Das Ich ist kein Monolith, sondern ein dynamisches Beziehungsgeflecht
Gesundheit ist Koordination von Vielheit, nicht Reduktion auf das Einzelne
Epigenetik als Widerspruch zur „Egobiologie“
Die klassische Egobiologie postulierte:
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Ein stabiles, unveränderliches Selbst
-
Genetisch festgelegt und von der Umwelt klar getrennt
-
Gesundheit als Kontrolle, Krankheit als Störung
Die moderne Epigenetik widerspricht diesem Modell fundamental:
Egobiologie | Epigenetik |
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Genetischer Determinismus | Kontextabhängige Genaktivität |
Isoliertes Ich | Holobiontisches Selbst |
Unveränderlich | Plastisch und anpassungsfähig |
Trennung von Umwelt | Wechselseitige Durchdringung |
Philosophischer Impuls: Vom Ich zum Wir
„Der Mensch ist nicht Herr im eigenen Haus – aber vielleicht Hüter eines Gartens.“
Das Bild des Holobionten ersetzt das Ich als Festung durch das Ich als ökologischen Garten, der gepflegt, verstanden und koordiniert werden muss.
Es ist eine Einladung zu einer neuen Ethik:
Verantwortung beginnt nicht beim Ego, sondern beim symbiotischen Selbst.
Nicht Trennung, sondern Verbindung ist das Grundprinzip des Lebens.
Der Mensch ist ein Kooperationsprodukt der Evolution.
Was wir denken, fühlen und tun, ist nicht nur „unser eigenes Werk“, sondern Resultat eines vielschichtigen Zusammenwirkens von:
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Genetik
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Epigenetik
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Mikrobiom
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Umwelt
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sozialen und emotionalen Erfahrungen
Die Erkenntnis des Holobionten schafft Raum für Verständnis statt Kontrolle, für Verantwortung statt Schuld, für Integration statt Isolation.
„Ich bin – weil wir sind.“
Dieses Prinzip gilt nicht nur zwischen Menschen – sondern in jedem von uns selbst.
Ihr
Eduard Rappold
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Eduard Rappold

Dr. Eduard Rappold, MSc ist ein erfahrener Forscher und Arzt, der sich seit Jahrzehnten für geriatrische PatientInnen einsetzt. In seinem Bemühen für Alzheimer-Erkrankte eine immer bessere Versorgung zu ermöglichen, wurde er 2003 mit dem Gesundheitspreis der Stadt Wien für das Ernährungszustandsmonitoring von Alzheimer-Kranken ausgezeichnet. Im Zuge seines Masterstudiums der Geriatrie hat er seine Entwicklung des Epigenetic Brain Protector wissenschaftlich fundiert und empirisch überprüft. Im September 2015 gründete er NUGENIS, ein Unternehmen, mit dem er Wissenschaft und Anwendung zusammenbringen möchte. Damit können Menschen unmittelbar von den Ergebnissen der Angewandten Epigenetik für ihre Gesundheit profitieren. Mit dem Epigenetic Brain Protector hat Dr. Eduard Rappold, MSc bereits für internationales Aufsehen gesorgt – auf der international wichtigsten Innovationsmesse, der iENA, wurde er 2015 mit einer Goldmedaille für hervorragende Leistungen zum Schutz vor Neurodegeneration ausgezeichnet. Auf den Webseiten nugenis.eu, epigenetik.at, spermidine-soyup.com und facebook.com/nugenis können Themen zur Epigenetik und Aktuelles nachgelesen werden.